Faces of Legal Tech am 19.02.2021: Legal Tech im Arbeitsrecht

Faces of Legal Tech am 19.02.2021 um 13:30 Uhr mit Inka Müller-Seubert, LL.M.: Legal Tech im Arbeitsrecht. Hier geht es zur Anmeldung.

Impulsvortrag mit einem Überblick über Legal Tech Tools und konkrete Anwendungsbeispiele bei arbeitsrechtlichen Fragestellungen.

Worum geht’s?

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Legal Tech Tools, welche die schnelle, unkomplizierte und kostengünstige Lösung von arbeitsrechtlichen Fragestellungen ermöglichen. Der Impulsvortrag gibt einen Überblick über einige dieser Tools nebst konkreten Anwendungsbeispielen.

Das Event richtet sich an alle, die sich für die praktische Anwendung von Legal Tech Tools im juristischen Arbeitsalltag und den Entwicklungsprozess von Legal Tech Tools interessieren. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.

Inka Müller-Seubert stellt im Impulsvortrag verschiedene IT-basierte Lösungen, beispielsweise eine HR-App oder zur Prüfung von Fremdpersonaleinsatz vor und erläutert, inwieweit diese eine Arbeitserleichterung für die Personalabteilung und die anwaltliche Beratung darstellen. Oft basieren derartige Tools auf einer rechtlichen Bewertung, die sich in gezielten Fragen und vorgegebenen Antwortmöglichkeiten wiederfindet. Diese Systematik kann daher auch auf andere Rechtsgebiete angewendet werden.

Zudem gibt Inka Müller-Seubert Einblick in ihre Erfahrungen bei der Mitentwicklung eines online Assessments zur Notwendigkeit von Interessenausgleich und Sozialplan bei geplanten Betriebsänderungen.

Über die Speakerin:

Inka Müller-Seubert, LL.M. ist Rechtsanwältin im Bereich Arbeitsrecht und Beschäftigtendatenschutz bei der Kanzlei CMS. Sie ist Dozentin für Legal Tech im Rahmen des LL.M.-Studiengangs Arbeitsrecht an der Universität Münster. Letztes Jahr hat sie ein Legal Tech Tool mitentwickelt. Inka Müller-Seubert ist Mitglied bei relaunch.recode.law am Standort Rheinland.

Das Konzept

Mit unserer Webinar-Reihe Faces of Legal Tech wollen wir spannenden Persönlichkeiten eine Bühne geben, die mit ihrem Engagement einen Beitrag zur Innovation des Rechts leisten. Das Konzept folgt dabei einer Zweigliederung:

  1. In einem ersten Schritt hat jedes Face of Legal Tech die Gelegenheit, in einem Impulsvortrag das Licht auf eine drängende Frage des Rechts im Kontext der Digitalisierung zu werfen.
  2. In einem zweiten Schritt möchten wir die Person selbst in den Vordergrund stellen. Im Rahmen eines Interviews sprechen wir über den Werdegang, die eigene Motivation, Ziele, Visionen und Überzeugungen.

Wir wollen auf diesem Weg auch einen Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit leisten und hoffen, dass die Personen, die wir in dieser Serie vorstellen, für viele als Vorbild dienen können.

Faces of Legal Tech am 19.02.2021 um 13:30 Uhr mit Inka Müller-Seubert, LL.M.: Legal Tech im Arbeitsrecht. Hier geht es zur Anmeldung.

Faces of Legal Tech mit Silke Fritz & Jasmin Bejaoui: welche Fähigkeiten benötigt ein New Lawyer?

Bei der zweiten Veranstaltung der Event-Reihe “Faces of Legal Tech” am 15. Januar 2021 hielten Silke Fritz und Jasmin Bejaoui unter dem Titel “The New Lawyer” einen spannenden Vortrag darüber, inwiefern Legal Innovation die tägliche Arbeit von Anwält:innen beeinflusst und welche Fähigkeiten zukünftige Anwält:innen mitbringen müssen. Dabei wurde auch das Legal Innovation Hub Reinvent vorgestellt. Im anschließenden Interview teilten die Referentinnen noch persönliche Erfahrungen und Tipps für angehende Juristen und Legal Tech Interessierte. Bei dem Format “Faces of Legal Tech” sollen die Zuhörer:innen nicht nur inhaltlich etwas aus dem Bereich Legal Tech lernen, sondern auch Näheres über die Referent:innen erfahren.

Die Speakerinnen

Silke Fritz ist Counsel im Bereich Banking & Finance bei der internationalen Full-Service-Kanzlei Baker McKenzie. Sie hat an der Hochschule Trier Wirtschaftsrecht studiert und an der University of London ihren LLM in International Business Law erworben. Außerdem ist sie Reinvent Ambassador der ersten Stunde und damit dafür zuständig, Legal Tech und Innovation in ihrer Abteilung und Kanzlei voranzutreiben.

Jasmin Bejaoui ist als Innovation Managerin bei dem Innovation Hub Reinventlaw insbesondere für den Key Account Baker McKenzie zuständig. Sie hat an der Fernuniversität Hagen Wirtschaftswissenschaften studiert und hat langjährige Erfahrung in den Bereichen Business Development, Projektmanagement, Marketing und Client Relationship Management. Jasmin Bejaoui managed bei Reinvent die Entwicklung von Innovationsthemen.

Innovationsumfeld eines New Lawyers

Inhaltlich wurde das Webinar mit der Frage eingeleitet, was eine Kanzlei tun kann, um ein geeignetes Innovationsumfeld für den “New Lawyer” zu schaffen. Wichtig sei dabei insbesondere das Management-Buy-In. Baker McKenzie arbeite in diesem Rahmen mit dem Innovation Hub Reinvent zusammen, wie später näher beschrieben wird. Wichtig seien außerdem Diversität, interdisziplinäre Zusammenarbeit, sowie die Belohnung neuer Ideen und Erfolge. Ein gutes Innovationsumfeld erfordere weiterhin Räume, die die Möglichkeit bieten, aus dem normalen Arbeitsrhythmus auszubrechen und damit Platz und Zeit zu schaffen für neue Ideen und Arbeitsweisen, wie insbesondere agiles Arbeiten.

Baker McKenzie x Reinvent

Im zweiten Teil des Vortrags gingen die beiden Referentinnen näher auf die Zusammenarbeit von Baker McKenzie und dem Innovation Hub Reinvent ein. Reinvent sei als das erste Legal Innovation Hub Kontinentaleuropas von Baker McKenzie mit ins Leben gerufen worden. Die Zusammenarbeit sei besonders wichtig, bei der Herausforderung, Change Prozesse und deren Auswirkungen im Unternehmen umzusetzen. Reinvent biete in diesem Zusammenhang, mit Workshops und inspirierenden Veranstaltungen für Mitarbeiter, eine Basis für den Einstieg in Innovationsthemen.

Neues Mindset

Darauf folgend wurde beschrieben, wie sich das Mindset in Bezug auf juristische Arbeit verändert hat, von klassischer Rechtsberatung hin zu einer umfassenderen Beratung. Bereits heute, aber verstärkt auch zukünftig seien deshalb auch ein unternehmerisches Verständnis und neue Pricing Modelle erforderlich.

Fähigkeiten eines New Lawyers

Zuletzt wurden die Fähigkeiten erläutert, die ein New Lawyer braucht. Dazu zählen: Empathie, Neugier, Kreativität, Kommunikation, Verständnis für Zusammenhänge, Einblicke in Technologie, Teamwork und Multidisziplinarität sowie Mandantenfokussierung.

Online-Diskussion am 15.12.20: JAG-Novelle – bereit für die digitale Transformation?

Diskussion mit Justizminister: Wie viel Legal Tech gehört in die juristische Ausbildung?

Bericht zur Diskussion am 15. Dezember 2020 zur JAG-Novelle in NRW

Seit fast 20 Jahren wurde das Juristenausbildungsgesetz (JAG) von Nordrhein-Westfalen nicht verändert – trotz massiver digitaler Entwicklungen in der Rechtsbranche. Vor einigen Wochen legte das NRW-Justizministerium dem Landtag dann einen neuen Entwurf des JAG vor. Am 15.12.2020 legte die NRW-Koalition (CDU- und FDP-Landtagsfraktion) gemeinsam einige Änderungsanträge für das JAG in den Landtag ein, “um die Juristenausbildung zukunftsgerichtet und modern zu gestalten”(Angela Erwin) und Digitalisierung und Legal Tech in der Lehre voranzutreiben.

Am Abend dieses Tages brachte relaunch.recode.law im Rahmen einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion Vertreter der Politik, der Justiz, der Wirtschaft und der Lehre zusammen, um zu prüfen, inwieweit die Digitalisierung und Legal Tech Lehrinhalte im Jurastudium werden sollen und welchen Stellenwert diese haben müssen, “um die Juristen von morgen auszubilden” (Angela Erwin).

Unter dem Titel “JAG-Novelle – bereit für die digitale Transformation?” durfte relaunch.recode.law NRW-Justizminister Peter Biesenbach, Prof. Dr. Kathrin Gierhake, Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Regensburg, Prof. Dr. Jan F. Orth, Pressesprecher des Landgerichts Köln, Dr. Maximilian Findeisen, Rechtsanwalt und Partner bei Eversheds Sutherland und Angela Erwin, Rechtsanwältin und Mitglied der CDU im Landtag NRW begrüßen.

Video-Aufzeichnung der Podiumsdiskussion

Die Diskussion wurde von Paul F. Welter, Vorstandsvorsitzender von relaunch.recode.law, moderiert, der zunächst die Entwicklungen des JAG-Entwurfs und auch die Hauptforderungen des offenen Briefs von relaunch.recode.law erklärte: Unter anderem wissenschaftliche Zusatzausbildungen im Bereich Legal Tech zu fördern und ein Bewusstsein für den Einfluss der Digitalisierung auf das Recht zu schaffen. Dabei wurde die Frage aufgeworfen, ob “wir es uns leisten können, in Legal Tech gar nicht auszubilden”.

Die Diskussion wurde dann mit der Frage an Herrn Minister Biesenbach, wie “digitale Kompetenz” im Gesetzesentwurf zu verstehen sei, eröffnet. Dieser betonte, dass digitale Kenntnisse (wenn auch nur optional) zur Schlüsselqualifikation zählen, die man am Ende der juristischen Ausbildung haben sollte. Dieses Ziel soll allerdings durch die Hochschulen mit Leben gefüllt werden. Dabei nahm er den Vorschlag von relaunch.recode.law an, auch eine digitale Zusatzausbildung ähnlich der Fachspezifischen Fremdsprachenausbildung mit einem Freisemester zu würdigen. Voraussetzung sei, dass diese mindestens 16 SWS umfasse. Mehr könne jedoch seiner Ansicht nach nicht geändert werden, es sollten schließlich Juristen und keine Informatiker ausgebildet werden; insbesondere richtete er sich an Herrn Welter: “Vertreten Sie ernsthaft die These, es soll ausgebildet werden, wie ich Rechtsanwendung durch Werkzeuge erfolgen lassen kann? Da werden wir uns nicht einig!”

Bezüglich der Antragsreihe der NRW-Koalition betonte Frau Erwin, rechtspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Landtag NRW, vor allem die Dringlichkeit, Themen wie Digitalisierung und KI im JAG zu berücksichtigen, um Juristen von morgen auszubilden und diese darauf vorzubereiten, mit Digitalisierung und KI umgehen zu können. Dabei brachte sie auch eine mögliche Professur in diesem Bereich ins Spiel.

Frau Prof. Gierhake sah das deutlich kritischer und warnte davor, dass dies nicht zulasten des klassischen Lehrstoffs passieren könne: “Wir können uns nicht selbst zu Subsumtionsmaschinen degradieren und nicht alles, was wir gelernt haben, der Technik überlassen.” Dabei betonte sie auch, dass Jurastudierende bereits jetzt durch die Fülle des Lernstoffs sehr ausgelastet seien. Solange die Fachkompetenzen eines Juristen noch nicht beherrscht werden, könne man die Digitalkompetenzen nicht ins Studium integrieren. Diese Meinung teilend antwortete Justizminister Biesenbach auf die Frage, was die Kernkompetenz der Juristen und somit Hauptschwerpunkt des JAG sein soll, dass dies “Verstehen und Anwenden können des Rechts ist.”

Im Laufe der Diskussion kristallisierten sich sehr unterschiedliche Ansichten heraus, welchen Stellenwert digitale Kompetenzen in der heutigen und zukünftigen Juristenausbildung haben sollen. Justizminister Biesenbach sprach sich dafür aus, dass dies kein wesentlicher Teil der juristischen Ausbildung sein sollte. Frau Prof. Gierhake schloss sich ihm an: “Wir bilden Juristen aus, die sich auf ihre Tätigkeit selbstständig einstellen können und die Qualifikation mitbringen, ihren Beruf eigenständig auszuüben.” Sie sehe digitale Kompetenzen eher als Add-On im Rahmen eines Grundlagenfachs oder Schwerpunktbereichs neben den klassischen Rechtsgebieten.

Herr Dr. Findeisen und Herr Prof. Orth forderten dagegen einen höheren Stellenwert für digitale Kompetenzen: “Es ist essenziell, dass die Studierenden lernen, was eine Software macht und wie sie mit ihr umgehen, wo die Grenzen und die Benefits liegen. Sie müssen lernen, wie sie diese Technik in ihr juristisches Denken integrieren. Das ist kein Add-On, sondern essenziell.” führte Herr Dr. Findeisen aus.

Herr Prof. Orth konnte dem nur zustimmen: “Digitale Kompetenzen wie Datensicherheit und Datenschutz müssen im Studium vermittelt werden, um dem Rechtsanwaltsberuf gewachsen zu sein.” Gerade auch im Hinblick auf den Transformationsprozess der Justiz und der Veränderung der Rechtskultur wie z.B. Sammelklagen von Legal Tech Unternehmen seien digitale Kompetenzen auch für Richter erforderlich. Er zeigte sich dabei auch offen für Algorithmen, die Urteilsvorschläge für Richter machen, die der Richter prüfen kann, solange die letzte Entscheidung beim Richter liegt.

Auch Herr Dr. Findeisen begrüßte Legal Tech Tools, warnte aber davor, dass digitale Kompetenzen im aktuellen Gesetzesentwurf nicht ausreichend berücksichtigt werden würden: “Ich fände es hochbedauerlich, wenn Studierende noch 17 Jahre warten müssen, bis in einer neuen Gesetzesnovelle erkannt wird, dass digitale Tools ein wesentlicher Bestandteil der juristischen Methodenlehre und der Rechtsanwendung sind.”

Zum Ende der Veranstaltung betonte Frau Erwin, dass die politischen Entscheider in einen Dialog mit den juristischen Fakultäten treten wollen. Gleichzeitig sollen aber auch Erfahrungen aus der Praxis und das Know-How von Unternehmen genutzt werden.

In seinem Schlussstatement freute sich Herr Minister Biesenbach über die aufschlussreiche Diskussion; ganz überzeugt klang er jedoch nicht. Trotzdem forderte er die Teilnehmer dazu auf, seinem Ministerium E-Mails mit konkreten Vorschlägen und Beispielen zu schicken, wie man das Jurastudium in digitaler Hinsicht reformieren kann. Er zeigte sich vor allem diskussionsbereit hinsichtlich der Frage, welches technische Wissen in der Juristenausbildung erforderlich sei. Allerdings betonte er nochmals, dass es die Kernkompetenz der Jurastudierenden sei, das Recht zu verstehen, mit fremden Rechtsgebieten umzugehen, sich dort einzuarbeiten und das Recht auf neue Sachverhalte anwenden zu können.

Mit diesem Schlusswort möchten wir uns nochmal bei allen Teilnehmern der Diskussion bedanken und freuen uns schon auf weitere inhaltliche Auseinandersetzungen zu diesem Thema im neuen Jahr!

Text: Annika Koch und Tamara Stumm

Zitate & Teilnehmer:innen

Recap “Faces of Legal Tech” mit Veronika Haberler

Ziel des neuen Event-Formates “Faces of Legal Tech” von relaunch.recode.law ist zum einen die inhaltliche Weiterbildung im Bereich Legal Tech und Innovation. Dies wird im ersten Teil eines jeden Webinars durch einen Impulsvortrag erreicht. Im zweiten Teil werden im Rahmen eines Interviews die Vortragende, ihr Werdegang und ihr Bezug zu und ihre Affinität für Legal Tech beleuchtet.

Die Auftaktveranstaltung von “Faces of Legal Tech” am 11. Dezember 2020 stand ganz unter den Themen der Interdisziplinarität und der digitalen, innovativen Recherchearbeit. Frau Dr. Veronika Haberler gestaltete einen Impulsvortrag mit dem Titel “Effizienz nicht nur am Arbeitsplatz: Warum Recherchetools die Zukunft von Justiz, Kanzleien und Studium sind”.

Als promovierte Soziologin und Co-Gründerin von “LeReTo”, einem juristischen Recherchetool, analysierte Frau Dr. Haberler in ihrem Vortrag die Problemfelder und die Herausforderungen der analogen und digitalen Recherchearbeit anhand von Beispielen. 

Die analoge Recherche im rechtswissenschaftlichen Bereich setze eine umfassende Beherrschung wissenschaftlicher Arbeitsmethoden und Quellenkompetenzen voraus, sei sehr zeitintensiv und wenig kooperativ. Digitale Tools auf der anderen Seite führen zwar grundsätzlich zu einer Effizienzsteigerung am Arbeitsplatz. Deren Usability und Accessibility erfordere jedoch vielfältige fachliche und technische Kompetenzen. Dies verdeutlichte sie u.a. anhand eines Beispiels zu den Geschäftszahlen einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Je nach Form und Angabe der Geschäftszahl in das Suchfeld einer dafür konzipierten Datenbank kommt es zu unterschiedlichen Resultaten. 

Zugleich präsentierte Frau Dr. Haberler lösungsorientiert moderne Herangehensweisen der digitalen Recherchetätigkeit. Dabei sei das Ziel die Etablierung von digitalen Tools, die domain- und fachübergreifende Inhalte zusammenbringen. Nur so könne wertvolle Zeit in die Kernkompetenzen einer jeden Juristin investiert werden. Dies veranschaulichte sie anhand einiger Funktionen, die das Recherchetool “LeReTo” bietet. 

Den zweiten Teil des Webinars leitete Frau Dr. Haberler mit einer innovativen Umfrage ein. Anhand von unterschiedlichen Bildern konnten die Teilnehmer:innen des Webinars den Fortgang des Interviews bestimmen. Im Rahmen des Interviews wurde deutlich, dass sie als überzeugte Soziologin einen Mehrwert im interdisziplinäre Arbeiten erkennt. Sie selbst forscht und publiziert an der Schnittstelle empirische Sozialforschung und Recht, wobei ihr besonderes Interesse der Gestaltung juristischer Arbeitsprozesse gilt. Den Abschluss des Webinars machten einige Tipps und Empfehlungen. Insbesondere an Jura-Studierende richtete sie den Appell, dass ein Besuch einer Lehrveranstaltung der Soziologie zu einem besseren Verständnis von Prozessen und Analysemöglichkeit beitragen könne und dadurch das effiziente, interdisziplinäre Arbeiten gestärkt werde.

Online-Diskussion am 15.12.20: JAG-Novelle – bereit für die digitale Transformation?

Online-Diskussion am 15.12.20: JAG-Novelle – bereit für die digitale Transformation?

NRW novelliert das Juristenausbildungsgesetz. Wird die Möglichkeit genutzt, das Jurastudium an digitale Entwicklungen anzupassen? Am 15.12.2020 veranstalten wir dazu unter dem Titel “JAG-Novelle – bereit für die digitale Transformation?” eine Online-Podiumsdiskussion von 17:30 Uhr bis 19:30 Uhr. > Hier geht es zur Anmeldung.

Worum geht’s?

Digitalkompetenz im Jurastudium

Seit fast 20 Jahren besteht das Juristenausbildungsgesetz (JAG) in seiner jetzigen Form – ungeachtet der voranschreitenden digitalen Transformation. Der Rechtsmarkt beeilt sich mitzuhalten: Standardisierte Prozesse werden immer weiter automatisiert, Verträge und Dokumente digitalisiert und Legal-Tech Unternehmen geben mittlerweile einer breiteren Öffentlichkeit Zugang zum Recht als deutsche Rechtsberater. Doch was bleibt unverändert? Die juristische Ausbildung, die in ihren Anforderungen immer weiter hinter dem juristischen Berufsalltag zurückbleibt.

Das neue JAG

Nun hat das NRW-Justizministerium hat einen neuen Entwurf des JAG vorgelegt. Doch schafft diese Reform das dringend Notwendige: die Vorbereitung zukünftiger Juristen auf die digitale Transformation?

Mit dem Justizminister des Landes NRW, Peter Biesenbach und weiteren Vertreter:innen aus Politik, Lehre und Rechtspraxis wollen wir via Zoom deshalb diskutieren: Welche Änderungen sind im neuen JAG vorgesehen und warum? Wie kann die juristische Ausbildung dem digital Wandel gerecht werden? Und wie kann das JAG dazu beitragen?

Der Hintergrund

Bereits im Oktober dieses Jahres hat relaunch.recode.law im Rahmen der Initiative #einJAGfürdieZukunft einen Offenen Brief an das Justizministerium NRW geschrieben, um Stellung zu den geplanten Änderungen zu nehmen und zu begründen, warum die Digitalisierung Einzug in das juristische Studium finden muss.

Unsere These: Im Jahr 2020 können wir uns eine juristische Ausbildung, die dem digitalen Wandel keine Rechnung trägt, nicht mehr leisten. Umso mehr freuen wir uns auf eine angeregte Diskussion über eine zukunftsfähige juristische Ausbildung.

Die Diskussionsteilnehmer

Peter Biesenbach
Minister der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen

Prof. Dr. Kathrin Gierhake
Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Regensburg

Prof. Dr. Jan F. Orth, LL.M.
Entwickler der iOS App “Richtertools” & Pressesprecher des Landgerichts Köln

Dr. Maximilian Findeisen
Rechtsanwalt und Partner bei Eversheds Sutherland

Angela Erwin
Rechtsanwältin & Mitglied des Landtags NRW (CDU)

Paul F. Welter
Vorstandsvorsitzender von relaunch.recode.law

Die Diskussion findet am 15.12.2020 von 17:30 Uhr bis 19:30 Uhr statt. > Hier geht es zur Anmeldung.

relaunch.recode.law kooperiert mit Oxford Fintech & Legaltech Society

Zusammenarbeit mit Oxford Fintech & Legaltech Society

Mit großer Freude dürfen wir heute bekannt geben, dass wir ab sofort mit der Oxford Fintech & Legaltech Society zusammenarbeiten. Die Zusammenarbeit unserer Initiativen soll Startschuss für einen inhaltlichen und persönlichen Austausch mit internationaler Perspektive sein. Diese ist nicht nur wegen der zunehmenden Internationalisierung des Rechts nötig, sie gibt auch Anlass zum Dialog über Konzepte anderer Rechtssysteme und deren best practices im Hinblick auf Digitalisierungsprojekte.

Wie sieht die Kooperation konkret aus?

Kern der Kooperation wird ein gegenseitiges Austauschprogramm, bei dem die Mitglieder beider Initiativen die Möglichkeit haben, gemeinsam an Projekten zu arbeiten, Vorstellungen auszutauschen und ihr Netzwerk zu erweitern. Wir freuen uns sehr auf den Austausch und die Zusammenarbeit!

Digitaler Kaminabend von relaunch.recode.law zur Modernisierung des Zivilprozesses

Seit diesem Sommer ist die Debatte um die Modernisierung des Zivilprozesses wieder in vollem Gange und vielleicht breiter angelegt denn je: Eine hochrangige Arbeitsgruppe der OLG- und BGH-Präsidentinnen und Präsidenten veröffentlichte im Juli 2020 ein Thesenpapier mit Vorschlägen zur Modernisierung des Zivilprozesses, die in ihrer Kombination unseres Erachtens als Noch-Nichtteilnehmer-des-Zivilprozesses aber Digital Natives nichts weniger als eine Revolution des deutschen Zivilprozesses bedeuten würde. Weiterlesen

Recap ” Die Zukunft digitaler Rechtsberatung aus der Regulierungsperspektive”

Am 19.11.2020 lud unser Hamburger Ableger von relaunch.recode.law lud in Kooperation mit der Hochschulgruppe relaunch.recode.law an der Bucerius Law School zu einem Gespräch über die Zukunft der Rechtsberatung ein. Dazu trafen sich vor Ort unsere eingeladenen Gäste auf dem Podium: Dr. Philipp Plog in seiner Funktion als Vorsitzender des Legal Tech Verbands Deutschland und Managing Partner bei der Kanzlei fieldfisher, Dr. Sven Bode, Gründer des Legal Tech Start-Ups myRight und Dr. Christian Lemke, Vizepräsident der Bundesrechtsanwaltskammer. Digital haben sich wiederum zeitweise mehr als 100 Mitglieder und Interessenten dazugeschaltet.

Das Thema des anwaltlichen Berufsrechts konnte kaum aktueller gewählt sein. Zurzeit streiten sich Rechtsanwaltskammer, Anwaltsverein und Legal Tech Vertreter:innen über die Gestaltung des neuen anwaltlichen Berufsrechts im Justizausschuss des Bundestages. Auslöser der Debatte war ein Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums unter anderem zur Reform der Bundesrechtanwaltsordnung. Noch bis zum 07.12.2020 können beim Ausschuss Stellungnahmen zum Entwurf eingereicht werden.

Dieser Anlass führte schon von Beginn an dazu, dass die hochkarätig besetzte Diskussionsrunde sachlich aber konfrontativ das Gespräch führte. Einerseits gilt es bei der Reform die Interessen aller auch nicht finanzkräftiger und technisch ungelernter Anwält:innen in Deutschland würdig zu vertreten. Damit einher geht die besondere Verantwortung von Berfusträger:innen gegenüber dem Mandat, dem Gericht und schlussendlich auch dem Recht an sich. Andererseits darf man sich dabei nicht der zunehmenden Technologisierung verwehren. Das 21. Jahrhundert führt in jedem Berufsfeld zu disruptiven Entwicklungen, die es auch unter Anwältinnen und Anwälten zu bewältigen gilt. Darunter fallen Masseklageverfahren, wie die Musterfeststellungsklage, aber auch die automatisierte Fallbearbeitung bspw. im Verbraucher- oder Arbeitsschutzrecht. Nicht zuletzt zeigt die Corona-Pandemie auch in Kanzleien, wie stark sich das Beschäftigungsfeld und die Mandatsarbeit ändern kann.

Zwischen diesen Interessen und Gegensätzen manövrierten sich die Experten durchweg begeisternd und überzeugend auf dem Podium bis sie schlussendlich wohl kaum überraschend bei der Übereinkuft „let’s agree to disagree“ endeten. relaunch.recode.law bedankt sich bei den Experten für den spannenden Austausch zu einem grade für young professionals besonders wichtigen Thema und freut sich auf viele weitere Begegnungen zu diesem Thema.

#einJAGfürdieZukunft – Digitalisierung muss in die Juristenausbildung!

Am Montag, den 05. Oktober 2020 versendete relaunch.recode.law einen offenen Brief an den Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen Peter Biesenbach. In diesem reagieren wir auf die vom Justizminister geplanten Änderungen des Juristenausbildungsgesetzes (JAG), in dem die Digitalisierung keine Rolle spielt, und unterbreiten Vorschläge, wie man die Digitaliserung des Rechts und der Gesellschaft angemessen berücksichtigen könnte, und begründen, warum dies dringend notwendig ist. Der Brief ist im Folgenden abgedruckt und soll auch bundesweit zur Debatte beitragen. Hier ist der Originalbrief als PDF einsehbar.

#einJAGfürdieZukunft
Geplante Änderungen des Juristenausbildungsgesetzes NRW sind rückschrittlich und tragen der veränderten digitalen Gesellschaft und Arbeitswelt in keiner Weise Rechnung – dabei ist es allerhöchste Zeit!

Sehr geehrter Herr Minister Biesenbach,

können wir uns Ihrer Ansicht nach im Jahre 2020 eine Juristenausbildung leisten, in der die Digitalisierung keine Rolle spielt? Dies müssen wir leider aus den Vorschlägen für die Reform des Juristenausbildungsgesetzes NRW (JAG) schließen.

Die Mitglieder des relaunch.recode.law e.V., also Studierende und Young Professionals unterschiedlicher Fachrichtungen, die sich mit der Zukunft des Rechts beschäftigen, möchten mit diesem offenen Brief aufzeigen, warum die Digitalisierung des Rechts und des Rechtsmarktes auch in der Juristenausbildung eine Rolle spielen muss. Vielleicht sogar: Warum unser Rechtsstaat diese Veränderungen braucht.

Zusammenfassung

  1. >> Vorschlag 1: Wir fordern, § 25 Abs. 2 Nr. 4 JAG NRW so zu ändern, dass nicht nur fremdsprachige Zusatzausbildungen der Hochschulen mit einem Freisemester beim Freiversuch privilegiert werden, sondern auch andere vom Landesjustizprüfungsamt anerkannten wissenschaftlichen Zusatzausbildungen. So wird den Hochschulen ermöglicht, interdisziplinäre Zusatzausbildungen u.a. in Legal Tech nach dem Passauer Vorbild anzubieten und sich unter Darlegung des Nutzens beim LJPA um eine Anerkennung zu bewerben. <<
  2. >> Vorschlag 2: weiterhin, § 7 Abs. 2 JAG NRW zu ändern, sodass Inhalt des Jurastudiums auch ist, ein Bewusstsein für den (potenziellen) Einfluss der Digitalisierung auf das Recht zu schaffen und die technologischen sowie methodischen Grundlagen einer digitalen juristischen Arbeitsweise zu vermitteln. <<
  3. Das ist nötig, weil auch durch die von Ihnen geplanten Reformen des JAG NRW, die Juristenausbildung den Möglichkeiten und Herausforderungen nicht gerecht wird, vor die die Digitalisierung das Recht und den Rechtsstaat stellt.
  4. Der Rechtsmarkt der Zukunft braucht Rechtsmethodiker, Kommunikationstalente, Rechtsingenieure und Projektmanager – mit anderen Worten: Gerade nicht das, was es schon immer gab und was die jetzigen Vorschläge für ein neues JAG NRW aufrechterhalten werden.
  5. Deutsche ziehen im Durchschnitt erst für einen Streitwert ab 1.840 € vor Gericht und die Verfahren dauern zu lange. Eine digitale Justiz kann das ändern. Der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes, abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip, sollte gefördert werden, indem man die Potenziale der Digitalisierung auch im Bereich der Justiz realisiert. So kann den Bürgern ein effizienterer und gerechterer Rechtsschutz geboten werden.

Es drohen rechtsfreie Räume, die sich ein Rechtsstaat nicht leisten kann, wenn die juristische Praxis die rasanten Techniksprünge nicht versteht und mit ihnen nicht mithält. Dann kann der Rechtsstaat sie nicht regeln und über sie urteilen.

Vorab eine Einschränkung:  Fragen wie die psychische Belastung durch das Staatsexamen, die Abschaffung des Abschichtens oder die Einführung eines integrierten Bachelorgrades – um nur ein paar zu nennen – sind für #einJAGfürdieZukunft ebenfalls essenziell. Allerdings sind wir keine zweite Landesfachschaft. Wir beschränken uns auf den Bereich unserer Expertise: Legal Tech und Innovation. Hier haben wir uns vor allem als Bildungsplattform, Eventveranstalter und Content-Creator Anerkennung erworben. Kürzlich haben wir eine virtuelle Online-Konferenz zu den Chancen und Hürden der Digitalisierung der Justiz (“Digital Justice Conference 2020”) organisiert mit namhaften, internationalen Speakern und Diskutanten und 450 Teilnahmen.
Zu den übrigen (wichtigen) allgemeinen Fragen der Reform (wie z.B. die Frage des Abschichtens, Gewichtung mündlicher Prüfung u.Ä.) verweisen wir auf die Stellungnahme der Landesfachschaft Jura NRW und die Eckpunkte für eine neue Juristenausbildung von Prof. Dr. Stephan Breidenbach (u.a.). Wir beschränken uns in diesem Brief darauf, #einJAGfürdieZukunft vom Blickwinkel der voranschreitenden Disruption, Innovation und Digitalisierung im juristischen Bereichs zu betrachten und zu gestalten. Für die übrigen Blickwinkel gibt es andere Experten, die wir hiermit herzlich dazu einladen, #einJAGfürdieZukunft mitzugestalten!

I. Handlungsbedarf: Legal Tech(nology) ist auf dem Vormarsch

23 % der Arbeit eines Anwalts könnte mit bereits heutiger Technologie automatisiert werden (McKinsey Global Institute). Nach Einschätzung von Partnern von Großkanzleien könnten potenziell 30-50 % der Aufgaben von Junganwälten automatisiert werden (Boston Consulting Group; Bucerius Law School). Wer nun tatsächlich automatisiert, kann seine Dienste zügiger, kostengünstiger und zu attraktiven Pauschalpreisen anbieten. Diese Entwicklung hat bereits begonnen. Wer es nicht tut, wird nicht mehr marktfähig sein. Für menschliche Subsumtionsautomaten oder Ewig-Gestrige, die billable hours für Routinearbeiten berechnen, wird kein Platz mehr sein. 

Was die Zukunft braucht: Rechtsmethodiker, Kommunikationstalente, Rechtsingenieure und Projektmanager, vulgo: Gerade nicht das, was es schon immer gab und was die jetzigen Vorschläge für ein neues JAG NRW aufrechterhalten werden.

Bei der Justiz verhält es sich nicht anders: Wir haben zweifelsohne das Glück, uns im weltweiten Vergleich in einem durchaus fairen, effizienten und sicheren Rechtssystem zu befinden. Trotzdem: Der durchschnittliche Streitwert, ab dem die deutsche Bevölkerung wegen eines Anspruchs vor Gericht ziehen würde, liegt bei 1.840 €. Kann es sein, dass der Rechtsstaat unter dieser Grenze letztlich nicht anspringt und bei den Bürgern ankommt? Ein Grund dafür könnten sein, dass die überwältigende Mehrheit der deutschen Bevölkerung der Auffassung ist, dass viele Gerichtsverfahren zu lange dauern (85 %) und die Gerichte überlastet sind (83 %). Auch seien die Gesetze in Deutschland viel zu kompliziert, sodass man sie als normaler Bürger nicht verstehe (56 % [bisherige Zahlen aus dem Roland Rechtsreport 2020]), was die Selbsteinschätzung der eigenen Rechte erschwert. Sie fürchten schlichtweg das Prozessrisiko und die Belastung, die mit einem Prozess einhergeht. Und verzichten auf ihr gutes Recht.

Hier gilt nicht: “Viel hilft viel”. Diese Probleme können nicht einfach mit mehr Personal gelöst werden. Das System braucht einen grundlegenden, qualitativen Wandel. Und das Werkzeug dazu wartet frustriert vor Ihrer und den Türen der hiesigen Hochschulen. Es heißt: Digitalisierung. 

Während in British Columbia, Kanada tausende zivilrechtliche Ansprüche vor dem Civil Resolution Tribunal komplett online durchgesetzt werden und 78 % der Teilnehmer zufrieden mit der Schnelligkeit waren (zur Erinnerung: in Deutschland sind 85 % unzufrieden), werden hierzulande Leistungsdrucker in Gerichten aufgebaut, weil über das besondere elektronische Anwaltspostfach – wenn es mal  sicher funktioniert – gesendete Dokumente bei Gericht mancherorts noch nicht in einer eAkte gespeichert werden. 

Wieso nicht den Grundsatz effektiven Rechtsschutzes, abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip, signifikant fördern, indem man die Potenziale der Digitalisierung auch im Bereich der Justiz realisiert? So kann den Bürgern ein effizienterer und gerechterer Rechtsschutz geboten werden.

Digitalkompetenz ist aber nicht nur nötig, um damit das Recht effizient zu machen. Anders herum muss das Recht auch über digitale Fragen entscheiden können. Schon jetzt wird von Berufseinsteigern in jeglichen Einsatzbereichen ein hohes Maß an interdisziplinärer Kompetenz gefordert. Juristen und Juristinnen mussten sich schon immer mit wirtschaftlichen Zusammenhängen auseinandersetzen. Mit der Digitalisierung  wird dies noch verschärft und ein zunehmendes Maß an Kenntnis über komplexe technische Zusammenhänge wird notwendig. Setzen sie sich hiermit nicht auseinander, kann das Rechtssystem den rasanten Techniksprüngen in der Praxis nicht mehr mithalten. Es drohen rechtsfreie Räume, die sich ein Rechtsstaat nicht leisten kann.

II. Der Anfang ist bei der Ausbildung zu machen. Ihre Vorschläge für die JAG-Novelle tragen dem keine Rechnung

Die Rechtsanwender und -schaffenden von Morgen durchlaufen zurzeit noch eine juristische Ausbildung, die auf den zwingenden Wandel in der Rechtspraxis nicht zu reagieren vermag. Dieser Wandel hat längst begonnen, während sich die juristische Ausbildung seit Jahrzehnten nicht grundlegend verändert hat.

Das muss sie aber. Das Anforderungsbild, das bei Berufseintritt in Zukunft an den juristischen Nachwuchs gestellt werden wird, wird die jetzigen Ausbildungsinhalte weit übertreffen. Zudem werden sie nicht einfach nur bestehende Software anwenden müssen. Mit einer zunehmenden Digitalisierung aller geeigneten Prozesse wird es an den Juristen liegen, auch Digitalisierungspotenzial zu erkennen und dann bei der Umsetzung maßgeblich mitzuwirken.

Diese Anforderungen stellen sich nicht etwa nur an einen Bruchteil der Juristerei, sondern vielmehr an Juristen in jeglichen Bereichen und Tätigkeitsfeldern, da diese sich an eine zunehmend digitalisierte Umwelt anpassen müssen, um nicht gravierende Verluste an Funktions- und Konkurrenzfähigkeit verzeichnen zu müssen. Nur beispielhaft seien die “Diesel-Massenverfahren” genannt, die zum einen von den bearbeitenden Kanzleien nicht ohne technische Unterstützung bewältigt werden können, zum anderen die Gerichte an ihre Belastungsgrenze treiben, da die spiegelbildliche technische Infrastruktur dort fehlt.

Darüber hinaus handelt es sich hier um Digitalisierungsvorhaben, die nicht völlig ausgelagert werden können: Bei hohem Interesse an Geheimhaltung, Sicherheit und vor allem Richtigkeit, das bei der Umsetzung solcher Projekte im juristischen Bereich die Regel sein wird, ist es unerlässlich, dass die Juristen zu jedem Punkt der Entwicklung die Letztentscheidungshoheit innehaben. Sie müssen in der Lage sein, technische Zusammenhänge zumindest oberflächlich zu verstehen und potenzielle Risiken und Fehler einzuordnen. Dafür müssen sie zu Beginn eines solchen Projektes die technischen Möglichkeiten abschätzen können und in der Umsetzung stets auf Augenhöhe mit den anderen Mitwirkenden kommunizieren können. Es wird nicht notwendig sein, dass ein jeder Jurist zum Programmierer umfunktioniert wird. Dennoch müssen die Mechanismen der Digitalisierung und technische Zusammenhänge zum Grundrepertoire gehören.
Auch im aktuellen Vorschlag zur Reform des JAG NRW kommen diese Überlegungen leider nicht zum Zuge, vielmehr bleibt durch die Ausweitung des Pflichtfachstoffs, die Wiedereinführung der großen Scheine und der Entfall der Abschichtmöglichkeit noch weniger Zeit, um sich diesen Themen ggf. sogar neben dem Studium zu widmen.

III. Konstruktive Gegenvorschläge: Ihr Beitrag zu einer zukunftsgerichteten Juristenausbildung

Vorab: Uns ist bewusst, dass die Lehrangebote im Rahmen der Juristenausbildung nur zum Teil von Ihnen und dem Landesgesetzgeber, an die sich dieser Brief primär richtet, bestimmt werden. Es obliegt den Hochschulen, den gesetzlichen Rahmen mit Inhalt auszufüllen und damit einen weiten Teil der Ausbildung zu gestalten. Dennoch möchten wir mit diesem Brief ein ganzheitliches Bild von einer innovationsfreundlichen Juristenausbildung zeichnen – unabhängig, von wem und auf welche Weise es formell umzusetzen ist. Insofern sind im Übrigen auch die Vertreter der juristischen Fakultäten angesprochen, die das Studiumsangebot gestalten.

1. Beim Freiversuch nicht nur fremdsprachige Zusatzausbildungen privilegieren – § 25 Abs. 2 Nr. 4 JAG NRW

>> Vorschlag 1: Nach § 25 Abs. 2 Nr. 4 JAG NRW bleibt einem für den Freiversuch ein Semester mehr Zeit, wenn man eine fremdsprachige rechtswissenschaftliche (Zusatz-)Ausbildung absolviert hat. Warum trifft diese Privilegierung nur fremdsprachige Zusatzausbildungen? In Bayern kommen zum Beispiel nach § 37 Abs. 4 JAPO sämtliche vom Landesjustizprüfungsamt anerkannte wissenschaftliche Zusatzausbildungen in Betracht. Dies würde den Hochschulen ermöglichen, auch umfassende Lehrangebote rund um die Digitalisierung und New Work anzubieten, die die Studierenden wahrnehmen könnten, ohne unter Zeitdruck zu geraten. <<

Die Universität Passau ging sogar schon so weit, einen Bachelor of Laws (LL.B.) in Legal Tech anzubieten, den man ohne Zeitverlust auch neben dem regulären juristischem Studium erwerben kann. 

2. Technologische und methodische Grundlagen digitaler juristischer Arbeitsweise als Inhalt des Studiums – § 7 Abs. 2 JAG NRW

In dem Rahmen jedenfalls, den auch schon das bisherige JAG den hiesigen Hochschulen lässt, hätten sie schon lange von sich aus etwas unternehmen und Legal Tech angemessen in ihr Curriculum implementieren können. Dies haben sie aber bis heute nicht getan. Das kann, wie eingangs gezeigt, ein moderner Rechtsstaat heutzutage aber nicht weiter hinnehmen. Darum ist nun die Zeit, von den Hochschulen aktiv einzufordern, Nachwuchs auszubilden, der zumindest mit den technologischen und methodischen Grundlagen der digitalen juristischen Arbeitsweise betraut ist. Dies Einzufordern ist auch ohne weiteres möglich, denn gerade deswegen unterliegt das juristische Studium hierzulande der staatlichen Prüfung und nicht ausschließlich dem Gusto der Hochschulen: Weil es hervorbringt, was am Ende den Rechtsstaat verkörpern soll. Und da sollte der Staat ein Wörtchen mitreden und Anforderungen formulieren.

>> Vorschlag 2: Konkret ist § 7 Abs. 2 JAG NRW gemeint, der den Inhalt des Jurastudiums definiert. Dieser könnte dahingehend erweitert werden, dass das Studium ein Bewusstsein für den (potenziellen) Einfluss der laufenden Digitalisierung auf das Recht allgemein, aber auch auf die Praxis der Justiz, Verwaltung und Rechtsberatung, sowie die technologischen und methodischen Grundlagen digitaler juristischer Arbeitsweise vermitteln soll. <<

Damit wäre ein klares Zeichen gesetzt. Die Hochschulen wären verpflichtet, fortan ein entsprechendes Ausbildungsangebot zu schaffen, das auch außerhalb von freiwilligen Weiterbildungsprogrammen alle Auszubildenden flächendeckend erreicht.

3. Wie die Hochschulen diesen neuen Rahmen ausfüllen könnten

a. Sensibilisierung der und durch die Hochschullehrer

Wie soll der Schüler lernen, was der Lehrer nicht weiß? Die erschreckende Erkenntnis ist, dass Teile der hiesigen Hochschullehrerschaft sich entweder der eingangs skizzierten Entwicklungen nicht Gewahr sind oder es zumindest nicht zeigen und in ihre Lehre einfließen lassen. Es muss nicht jeder ein Legal-Tech-Experte werden – aber jeder sollte ein Bewusstsein für die Entwicklungen haben seine Studierenden zumindest am Rande auf diese hinweisen. Das reicht schon, um ein allgemeines Bewusstsein und gegebenenfalls Wissenshunger und die Nachfrage nach “Mehr” zu schaffen.

b. Vorlesung / Zusatzausbildung “Recht und Technologie”

Es ist so banal wie es klingt. Dr. Martin Fries macht es bereits seit Jahren eindrucksvoll mit seiner Legal-Tech-Vorlesung an der LMU München vor. Allgemeine Vorschläge für eine solche Vorlesung kursieren schon seit Jahren. Auf den wegweisenden Schritt der Universität Passau, einen integrierten Bachelor of Laws in Legal Tech anzubieten, wurde schon an anderer Stelle hingewiesen. 

Der internationale Vergleich macht es nicht besser. Dazu genügt ein Verweis auf Andrew Perlman, der eine Liste mit US-amerikanischen Law Schools aufgestellt hat, die schon 2017 – zum Zeitpunkt des Verfassens – Expertise im Legal-Innovation-Bereich institutionalisiert haben. Namen wie Columbia, Harvard, MIT und Stanford muss man natürlich nicht lange suchen. Erwecken diese Namen nicht genug Vertrauen in die Wichtigkeit des Themas, um sich damit auch hierzulande auseinanderzusetzen?

c. (Legal) Tech Labs & Hubs

Die Hochschulen könnten sog. Labs oder Hubs einrichten, an denen interessierte Studierende aller Fachrichtungen neben dem Studium freiwillig Tech-Skills erlernen und Projekte umsetzen können. Durch die interdisziplinäre Ausrichtung kann jeder von jedem lernen und es wird geschult, andere Disziplinen zumindest oberflächlich zu verstehen und mit Experten über sie zu sprechen. Für Juristen ist dies sowohl neu als auch von hoher Bedeutung: Seit Jahrhunderten praktizierten sie nahezu isoliert ihr Fach und hatten im Büro und bei Verhandlungen im Wesentlichen nur Kontakt zu ihresgleichen. Wie eingangs gezeigt, wird das aufkommende Berufsbild des Legal Project Managers und des Legal Engineers aber immer stärker mit anderen Berufsgruppen eng zusammenarbeiten müssen. Umgekehrt könnten aber auch findige Programmierer (u.a.) auf den bisher nahezu konkurrenzlosen und äußerst profitablen Markt der Digitalisierung juristischer Prozesse aufmerksam gemacht werden. Die praktische Ausbildung sachgerecht ergänzen und vertiefen (vgl. § 36 Abs. 1 JAG NRW) würden die Hubs und Labs sicherlich auch als mögliche Wahlstationen im Referendariat.

d. Kooperationen mit Legal-Tech-Unternehmen

Nur wenige der hiesigen Legal-Tech-Unternehmen werden etwas dagegen haben, an der Ausbildung des juristischen Nachwuchses mitzuwirken und diesen ihre Software zur Verfügung zu stellen – schließlich werden diese später zu potenziellen Kunden. So würde die Hemmschwelle für interessierte Studierende gesenkt werden, den Einstieg in die praktische Arbeit mit Legal Tech zu finden. Vielleicht bieten die Unternehmen sogar kostenlose Schulungen an? 

Um Bedenken hinsichtlich der Freiheit der Lehre aus dem Weg zu gehen, wäre auch eine Anwendung von und Mitwirkung an Open-Source-Software möglich. Prominentes Beispiel ist das von Berliner Studierenden initiierte Projekt Open Decision, das Entscheidungsautomatisierung frei verfügbar macht.

IV. Fazit

Eine Zusammenfassung unserer Punkte fanden Sie bereits auf Seite 2. Daher nur noch so viel: Legal Tech ist auf dem Vormarsch und ist in Teilen des Marktes schon heute nicht mehr wegzudenken. In Zukunft wird er jegliche Teile dominieren. Und auch außerhalb des freien Marktes – in der Justiz und der Verwaltung – ist es höchste Zeit, Legal Tech zu implementieren, um den Rechtsstaat zu stärken und wirklich bis zur Haustür eines jeden Rechtssuchenden zu bringen. Bitte nehmen Sie diese Entwicklung und Chancen ernst.

Wir würden uns freuen, wenn Sie unsere Anregungen bei Ihren zukünftigen Beratungen berücksichtigen und das JAG nicht nur zu verändern, sondern es auch wirklich erneuern.

Gerne tragen wir dazu bei und sind für einen Diskurs jederzeit bereit.

Bei Interesse freuen wir uns über eine Nachricht an vorstand@relaunch.recode.law.

Recap Digital Justice Conference 2020

Vom 3. und 4. September 2020 fand die rein virtuell stattfindenden Digital Justice Conference 2020, ausgerichtet von der Studierendeninitiative relaunch.recode.law, statt. Thematisiert und diskutiert wurde die Notwendigkeit der Digitalisierung und Modernisierung auch der Gerichte und der ZPO in Deutschland. 

Das Bemühen um einen besseren Zugang zum Recht („access to justice“) ist Inspiration für viele Mitglieder der jungen, bundesweit vernetzten Legal Tech Studierendeninitiative relaunch.recode.law. Dies kombiniert mit dem plötzlichen Corona-Lockdown im Frühjahr und vielen abgesagten Präsenz-Konferenzen führte ein zuletzt achtköpfiges Team rund um Ramona Weber zur Idee der Digital Justice Conference 2020. Am Ende einer herausfordernden Organisation stand eine knapp zweitätige Online-Konferenz mit substanziellen Diskussionen, Vorträgen wie dem von Dr. Thomas Dickert und einem guten Level an Interaktion durch Umfragen und die Chat-Funktion. 460 Zuschauer:innen meldeten sich schließlich an und damit mehr als das Team sich erhofft hatte. 

Neben Zahlen und Redner:innen muss sich jede Konferenz aber vor allem an ihrem inhaltlichen Niveau messen lassen: Gab es konstruktive Debatten? Wiederkehrende Forderungen, die sich als Konsens herausbilden? Vorschläge und neue Impulse für den Diskurs? Wir finden: eindeutig Ja. Aus den Diskussionen, Beiträgen und Gesprächen der Conference leiten wir als aufmerksame Zuschauer, Organisatorinnen und Moderatoren fünf konkrete Impulse ab, die die #djc2020 dem Diskurs mitgibt.  

Im Folgenden werden die wesentlichen Erkenntnisse der einzelnen Vorträge und Panels dargestellt.

 

Erster Conference-Tag:

Eröffnungsrede Dr. Thomas Dickert

Die Digital Justice Conference 2020 eröffnete Herr Dr. Thomas Dickert, Präsident des OLG Nürnbergs und Vorsitzender der Arbeitsgruppe “Modernisierung des Zivilprozesses”. Im Rahmen seiner Bestandsaufnahme der deutschen Justiz kritisierte er die langwierigen digitalen Konzeptentwicklungen und den zugleich geringen Budgetrahmen. Ebenso verhindere der Föderalismus ein einheitliches IT-Systeme und damit einhergehend eine breite Akzeptanz zur Digitalisierung der Gerichte. Neben dem fehlenden Mindset zur digitalen Ausgestaltung der Gerichte stellen jedoch die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Prozessordnungen eine Hürde dar. Diese, so konstatiert er, brauchen eine Modernisierung im Hinblick auf das digitale Zeitalter.

Den Blick in die Zukunft der Justiz richtet er auf den Einsatz Künstlicher Intelligenz. Diese könne im Rahmen von Dokumentenanalyse und der Analyse von Big Data zur Arbeitsentlastung und Effizienzsteigerung führen. Eine weitere Chance für Justiz und vor allem die Bürger:innen sieht er in der Etablierung eines Online-Verfahrens für Verfahren mit geringem Streitwert befürwortet er. Gleichzeitig stehen vielen Automatisierungsprozessen auch einige rechtliche Grenzen gegenüber, welche gewahrt werden müssen.

Zuletzt stellt er einige Forderungen, wie dass Justiz, Gesetzgeber und die Rechtswissenschaft zusammen über Phänomene, wie die Digitalisierung der Lehre und der Justiz, die Künstliche Intelligenz und die rechtlichen Grenzen diskutieren müssen. Nur so könne Fortschritt erreicht werden. Schlussendlich versichert er, dass Richter und Gesetz nicht ersetzt werden.

Panel: Chancen und Hürden einer digitalen Justiz
Das erste Panel der Conference „Chancen und Hürden einer digitalen Justiz“ nahm eine umfassende Bestandsaufnahme zum gegenwärtigen Stand der Digitalisierung der Justiz vor und thematisierte den aktuellen Handlungsbedarf. Dazu äußerten und diskutierten Prof. Dr. Reinhard Gaier, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, Thomas Heilmann, Mitglied des deutschen Bundestags für die CDU/CSU Fraktion und Autor des Politikbestellers „Neustaat“, Benedikt Windau, Richter am Landgericht Oldenburg sowie Martin Hackl, Chief Digital Officer für das österreichische Justizministerium.

Ausgangspunkt war dabei Krisenfestigkeit der Justiz vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, die zum einen schonungslos bestehenden Defizite hinsichtlich der Digitalisierung in der Justiz offen gelegt hat, gleichzeitig aber auch als Chance und wichtiger Impuls bewertet wurde. Handlungsbedarf wurde dabei vor allem bezüglich der technischen Ausstattung der Gerichte sowie bei der Schaffung einer einheitlichen IT-Infrastruktur gesehen. Deutlich wurde innerhalb der Diskussion insbesondere die Notwendigkeit, sich im Rahmen von Digitalisierungsfragen auch umfassend mit der technischen Ebene auseinanderzusetzen. So sei es wichtig, IT-Experten und Sachverständige mit einzubeziehen, um die richtige Wahl bei Hard- und Software zu treffen.

Als weiteres zentrales Handlungsfeld der Digitalisierung der Justiz wurde darüber hinaus die Notwendigkeit von „digitaleren“ Gerichtsverfahren diskutiert. Zwar waren sich die Speaker einig, dass die Rechtsprechung letztinstanzlich der richterlichen Entscheidungsgewalt obliegen müsse, doch wurde auch die Forderung nach mehr Mut zu disruptiven Modernisierungsansätzen gefordert. Dabei müsse man die Chancen der Digitalisierung dazu nutzen, sowohl die Verfahrensordnung (ZPO) zu überdenken, als auch den Zugang zu und die Effizienz von Gerichtsverfahren zu verbessern. Dabei ginge es nicht allein darum, analoge Verfahren eins zu eins ins Digitale zu übertragen, sondern Recht durch die Digitalisierung ganz neu abzubilden. Um die Effizienz der Justiz zu steigern, sollte ferner die Möglichkeit von Online-Vorverfahren bei geringen Streitwerten geschaffen werden. Auch dem zukünftigen Einsatz von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz standen die Speaker im Grunde positiv gegenüber, solange Transparenz gewährleistet, letztinstanzliche Kontrolle weiterhin den Richtern zugestanden und die rechtlichen Grenzen gewahrt werden. Innerhalb der Politik und Justiz müsse dabei jedoch eine grundsätzlich größere Bereitschaft zu „Experimenten“ und neuen Prozessen existieren: Innovative Technologien sollten schneller „testweise“ ausprobiert und innerhalb der Justiz genutzt werden.

Als zentrales Anliegen wurde im Rahmen des Panels eine umfassende und ganzheitliche Digitalisierungsstrategie mit einer klaren, aber agilen Zielvorstellung gefasst, was im Zuge der Digitalisierung innerhalb der Justiz erreicht werden soll. Diese Initiative müsse dabei vom Bund ausgehen, um einheitliche Vorstellungen in föderalen Strukturen umzusetzen und dabei sowohl Politik, Justiz als auch IT-Experten an einen Tisch zu bringen.

Hinsichtlich der Entwicklungen innerhalb der nächsten 10 Jahren müsse aber vor allem eine digitalisierte ZPO, eine digitale Verfahrensführung sowie eine einheitliche technische Grundausstattung vorangetrieben und umgesetzt werden.

 

Impulsvortrag: KI und Konfliktlösung Prof. Dr. Steffek

Prof. Steffek stellte zunächst in seinem Vortrag einen Wettbewerb von Studierenden in Cambridge vor. Hier programmierten Studenten eine KI (“Case Crunch”, www.case-crunch.com) und schickten diese in den Wettbewerb mit über 100 Wirtschaftsanwälten. Sowohl die KI als auch die Anwälte sollten Vorhersagen erstellen über den Ausgang von realen Fällen im Bereich des Versicherungsrechts. Die KI war hier deutlich besser. Er skizzierte die Anwendungsgebiete von KI für die Konfliktlösung, nämlich bei der Informationsbeschaffung und -aufbereitung, der Analyse und auch bei der eigentlichen Entscheidung des Konflikts. Hierbei ging er insbesondere darauf ein, dass beim Einsatz von KI zur Konfliktlösung Verzerrungen eintreten können, welchen Wert die Transparenz der entscheidungserheblichen Faktoren hat und welche ethischen Aspekte dabei berücksichtigt werden müssen. Nach Auffassung von Prof. Steffek kann KI den Zugang zum Recht verbessern, indem der Zugang einfacher und kostengünstiger gestaltet werden kann. Er glaubt zudem, dass KI nicht erst bei streitigen Entscheidungen eingesetzt werden sollte, sondern KI verstärkt im Bereich des Streit vermeidenden Konfliktmanagements ihren Platz hat.

 

Interview: Thomas Heilmann, MdB

Herr Heilmann ging in seinem Impulsvortrag unter anderem auf die Frage ein, ob Deutschland einen “Neustaat“ braucht. Diese Frage thematisiert er zusammen mit anderen Abgeordneten und Experten im kürzlich veröffentlichten Politik-Bestseller “Neustaat”. In 103 Vorschlägen zeigen sie einen Weg zu einer schnelleren Digitalisierung Deutschlands auf.

Im Interview legte er einen Schwerpunkt auf die Wichtigkeit eines soliden Grundwissen im Bereich der IT. Nur dann können Prozesse neu gedacht, die Justiz und Verwaltung modernisiert und digitalisiert werden. Um diesen Ansatz verfolgen zu können, fordert er eine einheitliche Institution, z.B. in der Gestalt eines Ministeriums für Digitalisierung.

 

Interview: Dr. Richard Happ

Dr. Richard Happ, Experte für internationale Schiedsverfahren, berichtete über den Stand der Digitalisierung in Schiedsverfahren, der, im Vergleich zu staatlichen Zivilverfahren, schon deutlich fortgeschrittener ist. Er erklärte die Vorzüge einer ganzheitlichen digitalen Plattform für jegliche Kommunikation im gerichtlichen Verfahren. Als funktionierendes Beispiel führte er die Plattform der Stockholm Chamber of Commerce (SCC) an. Gründe für die frühzeitige und tief gehende Digitalisierung einiger Prozesse der Schiedsgerichtsbarkeit seien u.a. die hohe Bereitschaft zum Fortschritt und zur Standardisierung von “best practices” gewesen. Zugleich sei die Digitalisierung aber kein Allheilsbringer. Aus eigener Erfahrung zählte er Verfahrensaspekte auf, die analog stets bessere Ergebnisse erzielten als digital. Dr. Happ resümierte, dass man einige Digitalisierungserfahrungen der Schiedsgerichtsbarkeit auf staatliche Gerichtsverfahren übertragen könne und den Mut zum Einsatz digitaler Tools in gerichtlichen Verfahren aufbringen müsse.

 

Zweiter Conference-Tag

 

Panel: Tomorrow’s Online Courts

Der zweite Tag der Konferenz wurde durch das Panel “Tomorrow’s Online Courts” eingeleitet.

Prof. Dr. Giesla Rühl
Den Beginn machte Frau Professorin Giesela Rühl. In ihrer Forschung widmete sie sich zuletzt den Themen Smart contracts sowie dem Einsatz von Algorithmen und künstlicher Intelligenz in der gerichtlichen Streitbeilegung. Letzteres wurde auch in ihrem Impulsvortrag deutlich. Dieser wies darauf hin, dass die Zivilprozessordnung bereits heute einen nicht unerheblichen Digitalisierungsgrad aufweist. Der Status quo zeigt also: Eine Untätigkeit kann dem Bundesgesetzgeber nicht vorgeworfen werden. Gleichwohl fehle es in einigen Bereichen an einer sinnvollen Umsetzung der gesetzgeberischen Bemühungen. Zu nennen ist hier z.B. die mangelnde Verfügbarkeit von Videotechnik an den Gerichten.

Ein weiteres im Vortrag genanntes Defizit ist der Umstand, dass die gesetzgeberischen Anpassungen sich nicht an den rechtssuchenden Bürger richten. “Insbesondere gibt es bis heute keinen einfachen internetbasierten Zugang zu Gericht, den der rechtssuchende Bürger ohne Einschaltung eines Anwalts einfach so beschreiten könnte.”

Zuletzt nannte Frau Prof. Dr. Rühl das Defizit, und dies hörte man auch von anderen Speakern im Rahmen der Konferenz, dass der Fokus bisher auf der digitalen Transformation analoger Prozesse liegt. Damit werde das Potential der Digitalisierung nicht ausgeschöpft. Mögliche kurzfristige Lösungsansätze sind für Frau Prof. Dr. Rühl die Einführung eines (optionalen) digitalen Zugangsportals und eines (optionalen) digitalen Gerichtsverfahrens. Mittel- und langfristig schlägt die Speakerin eine Steigerung des digitalen Zugangs zum Recht mittels Künstlicher Intelligenz und dem Einsatz von Algorithmen vor. Bevor derartige Systeme eingesetzt werden können, sind allerdings die technischen Herausforderungen (z.B. das sog. Black box – Problem der Künstlichen Intelligenz, das die Arbeitsweise des Systems für den Anwender und in der Regel auch für den Entwickler des Algorithmus nicht nachvollziehbar erscheinen lässt) als auch die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Herausforderungen (z.B. die Beeinträchtigung richterliche Unabhängigkeit aus Art. 97 GG) zu bewältigen.

Dr. Cord Bürgmann
Im Anschluss folgte der Vortrag von dem Rechtsanwalt und Politikberater Dr. Cord Brügmann. Dieser konzentrierte sich auf sieben Trends, “…die den Rahmen für künftige Entwicklungen ausmachen und den Rechtsmarkt in den nächsten 10-15 Jahren beeinflussen werden.”

Der Trend Nr. 1 war mit “Traditionelle Streitlösung wird unattraktiver” betitelt. Herr Dr. Brügmann zeigte einen Rückgang der Eingangszahlen an den Zivilgerichten. Als Gründe nannte er unter Anderem die hohen Rechtsverfolgungskosten. Weiterhin hob er hervor, dass Streitsuchende in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten häufig nicht 100 % ihres Anspruchs durchsetzen wollen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Rechtsverfolgung einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt. Sie geben sich vielmehr mit 70 oder 80 % des Anspruchumfangs zufrieden, wenn sie diesen schnell und unkompliziert bekommen. Hervorzuheben sind außerdem die Trends Nr. 3 und Nr. 7. Mit dem dritten Trend hob der Redner hervor, dass die Justiz nicht in demselben Tempo modernisiert wird, wie der Rechtsberatungsmarkt. Zu befürchten ist daher eine immer größere Divergenz in den Modernisierungsgeschwindigkeiten der (privaten) außergerichtlichen Rechtsdienstleistung im Verhältnis zur traditionellen Streitbeilegung. Der siebte und letzte Trend befasste sich mit Predictive Analytics und Human in the Loop.

Im Anschluss an die Trends folgten drei Thesen:

  1. Die Digitalisierung bietet eine Chance für kohärente, innovationsfreundliche Rahmenbedingungen für die gesamte Rechtspflege
    Im Rahmen dieser These machte Dr. Brügmann deutlich, dass die Rechtspolitik nicht die Justiz allein als Hauptakteur für alle Rechtsprobleme sehen sollte. Ein geweiteter Blick, der auch die Rechtspflege außerhalb der Justiz einbezieht und ggf. zu einer Entlastung der Justiz beitragen kann, wäre hier wünschenswert.
  2. Empirie und Kundenperspektive: Rechtspolitik und Akteure in der Rechtspflege brauchen Unmet-Legal-Needs-Studien
    Die zweite These fordert einen Zugriff der Rechtspolitik und Akteure in der Rechtspflege auf empirische Daten, die die Bedürfnisse des Rechtssuchenden Publikums betreffen.
  3. Wenn es um Justiz, Zugang zum Recht und Rechtsstaat geht, sollten wir anstreben, in Europa und der Welt die Nummer 1 zu sein.


Oskar de Felice

Last but not least konnte der Flightright Head of Legal Strategy Oskar de Felice seinen Standpunkt zu den “Tomorrow’s Online Courts” darlegen. Er machte zunächst deutlich, dass sich die Justiz im Rahmen der Digitalisierung viel zu sehr auf die Anwaltschaft konzentriere und dabei den Rechtssuchenden nicht gebührend berücksichtigt. Herr de Felice schlägt zur Verbesserung eine digitale Plattform an den Gerichten vor. Diese würde das Sammeln von strukturierten Daten ermöglichen, die nach einer Auswertungen Erkenntnisse für eine Anpassung der digitalen Prozesse geben könnten. Gleichzeitig könnten so Präsenz- oder auch Videotermine verhindert werden, da die zuständige Richterin über die Plattform z.B. darauf hinweisen könnte, dass ein bestimmter Vortrag noch fehlt.

Auch sieht Herr de Felice, ähnlich wie Dr. Brügmann, perspektivisch ein ausgeglichenes Nebeneinander von Justiz und außergerichtlicher Streitbeilegung. Hervorzuheben ist hierbei, dass nach seinem Lösungsansatz  die Justiz den Rechtsdienstleistern die gesammelten Daten zur Verfügung stellt. So kann stets der für den Rechtssuchenden optimale Weg gegangen werden. Mit der Bereitstellung der Daten stellt Herr de Felice gleichzeitig einen Regulationsmechanismus vor. Sollte sich ein Nutzer der Daten rechtswidrig verhalten, kann ihm ein weiterer Zugang zu den Daten verwehrt werden und so eine Sanktionswirkung entstehen.

Zusammenfassung Panel
In der auf die Impulsvorträge folgenden Paneldiskussion wurde deutlich, dass in der Zukunft eine privatrechtliche Konfliktlösung aus einem Nebeneinander staatlicher und privater Konfliktlösungsmechanismen bestehen sollten. Dabei sollte die heutige Justiz zunächst darauf achten, dass sie wieder wettbewerbsfähig wird.

Auch das in den Vorträgen immer wieder angesprochene Thema der Künstlichen Intelligenz in der Justiz wurde besprochen. Die Redner*innen waren sich einig, dass diese Technologie irgendwann eingesetzt werden sollte. Der Einsatz aber unter der Bedingung steht, dass sie einwandfrei funktioniert und insbesondere keine diskriminierenden Ungleichbehandlungen hervorruft.
In Bezug auf die für die Künstliche Intelligenz benötigten Daten waren sich die Redner*innen einig, dass eine Veröffentlichungspflicht für die Gerichte bestehen sollte. Herr Dr. Brügmann wies allerdings darauf hin, dass dies ein Umdenken in der Justiz erfordert. Man müsse nur einmal nach Frankreich schauen, wo die Analyse richterlichen Verhaltens mittlerweile mit einer Gefängnisstrafe sanktioniert werden kann.

Zum Ende der Diskussion wies Herr de Felice darauf hin, dass eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfindung durch Algorithmen bereits heute besteht. Die unterschiedlichen kostenpflichtigen Zugänge bei den großen juristischen Datenbanken bewirken bereits heute einen ungleichen Zugang zu Informationen, der unter Umständen in gleichgelagerten Sachverhalten zu unterschiedlichen Urteilen führen kann.

 

Interview: Stephan Thomae, MdB

Im Gespräch mit Herrn Stephan Thomae, MdB ging es um das Thema: Corona und die Justiz: Wie krisenfest sind die Gerichte? Festzuhalten bleibt, dass es – anders als zum Teil berichtet – nicht zu einem Stillstand der Justiz und des Rechtsstaats gekommen ist. Aber obwohl sich gezeigt hat, dass der Staat auch in einer Krisensituation wie dem Corona-Lockdown leistungsfähig ist, wurden die bestehenden Schwächen umso schmerzhafter offen gelegt, sodass es z.B. zu Verzögerungen von Prozessen und sogar Haftentlassungen gekommen ist. Stephan Thomae und die FDP-Fraktion fordern vor diesem Hintergrund umso dringlicher einerseits einen Digitalpakt für die Justiz, um ihre technische Ausstattung zu verbessern. Andererseits fordern sie auch gesetzgeberische Änderungen, kurzfristig etwa das Führen von Video-Verhandlungen – anders als aktuell in § 128a ZPO – in das Benehmen der Parteien zu stellen und die Möglichkeit Verhandlungen mit Einverständnis der Parteien aufzuzeichnen.

 

Impulsvortrag: Gerichtssaal der Zukunft von Prof. Dr. Thomas Hoeren

Herr Prof. Dr. Hoeren referierte über die Digitalisierung der Gerichte im Hinblick auf die architektonischen und rechtlichen Anforderungen. Je nach Gerichtsart müssen unterschiedliche Anforderungen an die Digitalisierung gestellt werden. Im Strafprozess sind u.a. die Forderung der Autorität des Staates vor Ort, die Komponenten der Gerichtsöffentlichkeit und der direkten, persönlichen Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten und dem Richter erheblich. Diese den Prozess prägenden Elemente ließen sich in einem virtuellen Verfahren kaum abbilden, so Prof. Dr. Hoeren. Ähnliches gelte im Familienprozess, wo die physiologisch vorzunehmenden Einschätzungen, wie z.B. bei der Beurteilung zum Schutz des Kindes, nur ausreichend in persona getätigt werden könnten. Im Zivilprozess hingegen bestünden mehr Möglichkeiten virtuelle Verhandlungen zu implementieren.

 

Panel: Online Dispute Resolution

Das Panel zum Thema „Online Dispute Resolution“ (kurz ODR) läutete das Finale der Konferenz ein. Unter ODR werden verschiedene Methoden und Systeme zur Streitbeilegung im Internet gefasst. Prominentester Vertreter ist der eBay-/ und PayPal-Käuferschutz. Dieser wurde im Laufe der Konferenz mehrfach als Beispiel genannt für schnellen, einfachen, kostenlosen Zugang zu einer Konfliktlösung. Prof. Gaier nahm auch kritisch Bezug und deutete an, dass sich hier ein Parallelsystem entwickele, dem der Staat mit eigenen neuen oder verbesserten Angeboten entgegentreten müsse. Tatsächlich lösten die genannten Plattformen bereits 2014 rund 60 Millionen Konflikte im Jahr mit damals steigender Tendenz. Die Eingangszahlen der Amtsgerichte hingegen sind seit Jahren rückläufig, worauf auch Cord Brügmann am Freitagmorgen noch einmal hinwies (-40% zwischen 2004 und 2019)

Damit war den Kernfragen des letzten Panels durch die anderen Diskussionen bereits der Boden bereitet: Was soll man von der steigenden Bedeutung der privaten ODR halten? Welche Rolle sollten die privaten Systeme spielen im Vergleich zu staatlichen Konfliktlösungsmechanismen? Brauchen die Plattformen mehr Regeln in dieser Hinsicht? Kann der Staat etwas von eBay und PayPal lernen?

Diese Fragen diskutierte ein international und höchstkarätig besetztes Panel auf Englisch, das erst durch die Virtualität der Conference ermöglicht wurde. Colin Rule (San Jose, Kalifornien, USA) ist Pionier auf dem Gebiet des ODR und hat Anfang der 2000er Jahre das erfolgreiche ODR-System von eBay und später von PayPal aufgebaut. Martin Fries ist Privatdozent an der LMU München mit Forschungsschwerpunkt unter anderem im Recht der Digitalisierung. Shannon Salter (Vancouver, British Columbia, Canada) ist Chair des Civil Resolution Tribunal British Columbia (Kanada), einem der ersten erfolgreichen staatlichen Online-Gerichte.

Colin Rule machte den Anfang und lieferte spannende Einblicke in die Funktionsweise des eBay-Käuferschutz. 90% der Fälle würden ohne menschliche Interaktion gelöst. Eine Software strukturiere automatisiert die Kommunikation, fordere entsprechende Nachweise an und bereite so alles für den Ausnahmefall vor, dass doch ein:e Mitarbeiter:in von eBay den Fall entscheiden müsse. Die durchschnittliche Verfahrensdauer betrage 18 Tage.

Er ist der Auffassung, dass Private so viele Konflikte wie möglich verhindern und bei Auftreten lösen sollten. Es reiche, wenn nur im Ausnahmefall der Staat als „last resort“ zur Verfügung stünde. Die Systeme seien phänomenal erfolgreich, auch gemessen am Maßstab der Nutzerzufriedenheit: Die Konfliktlösungen seien nicht verbindlich, gleichwohl gingen 99% der Fälle danach nicht mehr zu Gericht. Er wies auch auf den Bedarf für diese Systeme hin, um den Zugang zum Recht zu verbessern. Dies gelte vor allem in anderen Rechtsstandorten als Deutschland. Deutschland habe nämlich eines der am besten funktionierenden Rechtssysteme weltweit, dies müsse man immer im Hinterkopf behalten. An der Arbeit von Shannon Salter wollte er im Übrigen kein bisschen Kritik geübt wissen: Sie setze den Gold Standard für ein öffentliches Justizsystem, es sei bewundernswert. Auf eine spätere Nachfrage wies er auf das Risiko schwarzer Schafe unter den Privaten hin und die Standards für ODR-Systeme (wie Unabhängigkeit, Fairness u.Ä.), an denen er in einem Branchenverband mitgearbeitet habe.

Martin Fries plädierte dafür, dass sich der Staat diejenigen zum Vorbild nehmen müsse, die Erfolg im Bereich der Konfliktlösung hätten. Das seien ohne Frage eBay und PayPal. Er wies daraufhin, dass die EU sich bereits ihm Rahmen der ODR-Verordnung von den Unternehmen habe beraten lassen. Die geschaffene zentrale Schlichtungs-Vermittlungsplattform verzeichne bisher aber nur wenige Zehntausend Eingänge jedes Jahr europaweit und sei damit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. In der Frage „state vs. private“ äußerte er seine Überzeugung: „There are enough conflicts for everyone.“ Er betonte die Notwendigkeit der Nutzerzentriertheit: Die Bedürfnisse der Rechtssuchenden müssten im Verfahren berücksichtigt werden. Das sei noch nicht hinreichend der Fall. Das Verfahrensrecht müsse dementsprechend angepasst werden. Es sei mindestens genauso wichtig wie das materielle Recht.

Shannon Salter gab schließlich einen allseits erwarteten Kurzüberblick über die Funktionsweise und Entstehungsgeschichte des Civil Resolution Tribunal in British Columbia, Canada. Es handele sich quasi um ein Online-Gericht, wobei die Richter:innen mit einem verbindlichen streitigen Urteil erst auf der letzten Stufe eines vierstufigen Prozesses stünden. Zu Beginn fänden die Rechtssuchenden ein einfach durchsuchbare Datenbank zu Rechtsproblemen; es folge eine strukturierte Verhandlung; auf dritter Stufe eine für beide Seiten verpflichtende Mediation – hier finde „all the heavy work“ statt; erst wenn Konflikte auch auf dieser Stufe nicht gelöst werden, entscheide ein:e Richter:in den Fall. Das allermeiste finde digital (Videokonferenzen) statt. Der CRT sammle ständig Feedback von allen Beteiligten, um sich weiter zu verbessern. Die Zufriedenheit der Rechtssuchenden sei hoch. Die Rechtspolitik gebe dem CRT immer mehr Jurisdiktionen.

Der fundamentale Unterschied dieses Verfahrensdesigns gegenüber dem herkömmlichen public justice system sei, dass es nutzerzentriert ausgestaltet ist, also auf die Bedürfnisse der Rechtssuchenden ausgerichtet. Sie betonte also einen ähnlichen Punkt wie Martin Fries. Sie stellte klar, dass ein Online-Verfahren nicht die einzige Möglichkeit eines nutzerzentrierten Verfahrens sei, aber es sei die beste Möglichkeit, die uns bisher eingefallen ist. Es gehe nicht um blinde Digitalisierung. Sondern die Verbesserung des Zugangs zum Recht. Das schaffe man durch Nutzerzentrierung.

In der Frage „state vs. private“ hob sie den aus ihrer Sicht wichtigsten Unterschied hervor: Die staatlichen Systeme müssten für alle offen sein, die privaten hingegen nur für die, für die es sich lohne. Dabei denke sie an die Schwächsten der Gesellschaft, Minderheiten, Personen mit Behinderungen und andere. Um den Zugang zum Recht für diese Menschen zu erhöhen, teile sie etwa 90% ihrer Arbeitszeit ein. Sie gab auch konkrete Beispiele, wie eine solche Ausgestaltung aussieht. Darunter fällt etwa das Commitment, alle Verfahrensschritte inklusive Urteilsbegründung in leichter Sprache zu kommunizieren.

Moderator, ODR-Promovend und relaunch.recode.law Mitglied Julian Albrecht resümierte, dass es mehr Einigkeit gegeben hätte als erwartet – „there are enough conflicts for everyone“. Zentrales Kriterium sei die Nutzerzentriertheit. Der Staat könne eine Menge von eBay und PayPal lernen. Ein Katalog an Regeln läge mit den vom Branchenverband herausgearbeiteten Standards zumindest in unverbindlicher Form vor.

 

Ausblick

Bei relaunch.recode.law lernen, diskutieren und leben wir ein digitales Mindset. Wir wollen helfen, dies in die juristische Ausbildung, den Rechtsberatungsmarkt und die staatliche Justiz tragen, damit zugunsten eines größeren Zugangs zum Recht die Chancen der Digitalisierung auch hier wahrgenommen werden. In anderen Branchen ist das längst in größerem Ausmaß geschehen. Die Digital Justice Conference 2020 war für uns ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Wir hoffen, dass viele von euch und Ihnen diese Sichtweise teilen. Wir bleiben am Thema Digital Justice dran und werden weiteren Content dazu produzieren. Nach der Conference ist vor der Conference